Dzogchen
Du übst, und doch siehst du nicht aus, als ob du übst.
Dies ist die tiefste spirituelle Übung.
Thich Nhat Hanh
Dzogchen und Mahamudra sind, ähnlich wie das japanische Zen,
die konsequente Praxis der Philosophie der Leerheit.
Leerheit
Die Einsicht in die Leerheit gehört zu den bedeutendsten Errungenschaften der menschlichen Intelligenz.
Es geht darum, dass unsere gewöhnliche, dualistische Wahrnehmung auf einer Illusion aufbaut, auf einem tief sitzenden Denkfehler.
Hinter unserem Alltags-Bewusstsein, das diese Illusion erzeugt, liegt eine andere Art von Gewahrsein, das diesen Denkfehler unmittelbar durchschauen kann.
Das ist die Einsicht in die Leerheit, Prajna Paramita.
Dzogchen und ähnliche Erleuchtungswege sind der Beweis, dass dieses Gewahrsein tatsächlich existiert, und dass dieser Schritt in der Praxis möglich ist.
Für den, der diese Einsicht in sich selbst entwickelt, ist die Wahrheit evident. Andere können sich durch Argumente der Vernunft sowie über die offenkundigen Ergebnisse der neuen Sicht überzeugen lassen.
Die Sicht
Dzogchen kann man nicht aus Büchern lernen,
geschweige denn aus dem Internet!
Die folgende Meditationsanleitung, aus einem Vortrag im Februar 2015
ist also nur als Hinweis zu verstehen,
wie man sich die Sichtweise etwa vorstellen kann.
Die Anleitung beruht auf dem berühmten Kommentar
des Patrul Rinpoche (19. Jahrhundert)
zu den drei Worten des Garab Dorje (Tsik Sum Nedek),
und beschreibt den Aufbau der richtigen Haltung,
um das ursprüngliche Gewahrsein
jenseits unseres dualistischen Alltagsbewusstseins
kennen zu lernen.
Als erstes entspanne Körper und Geist …
vollkommen ohne Anstrengung,
projiziere nicht, konzentriere dich nicht, keine Gedanken …
Wenn unser Geist herumwandert – irgendwohin- dann führt das zu nichts.
Wenn wir ihn aber zu sehr zwingen, da zu bleiben, führt das auch zu nichts.
Dieses Dableiben, das entspannte Da-bleiben ist aber auch kein Gedanke.
verweilen in einem Zustand der Ausgeglichenheit frei und leicht …
Wenn wir einfach da sind und uns entspannen und die Wirklichkeit fließen lassen, dann ist das die ganze Meditation.
Wenn wir aber nicht gewohnt sind, zu meditieren, dann beginnt zwar die Meditation in diesem Augenblick, nur beginnt sie sofort wieder, sich selber einzuspinnen.
… also wir beruhigen uns, wir setzen uns hin, der Geist will in Meditation kommen, aber sofort sind wir wieder in unseren Gewohnheitsmustern,
und nun ist es sehr wichtig an dieser Stelle ganz aufzuwachen!
Also wir entspannen uns, und wir entspannen uns immer weiter, aber statt dann weg zu dösen –
… an dieser Stelle in der Entspannung ganz wach zu werden,
das ist der entscheidende Punkt.
Es gibt verschiedene Methoden, das zu erreichen, an dieser Stelle auf zu wachen.
Am allerbesten ist, wenn es von selbst geschieht. Wenn wir uns entspannen und beruhigen, dann entsteht ganz von selbst eine durchsichtige klare Wachheit, und wenn wir die erkennen und in der bleiben, dann beginnt Meditation.
Ich werde später von verschiedenen Methoden sprechen, wie man diesen Prozess unterstützen kann, aber am besten ist es, wenn es von selber auftritt, wenn man es erkennt und dann damit weitergeht.
In dem Augenblick in dem die Meditation beginnt, sprechen die Tibeter von HE DE WA – Offene Weite. Das ist das selbst- erscheinende Gewahrsein, das sich von unserem alltäglichen Bewusstsein unterscheidet. Es ist völlig frei, offen und weit. Es wird verglichen mit einem klaren Licht und einem Kristall, einem völlig durchsichtigen Kristall, aber es gibt keine Vorstellung, die uns wirklich erklären könnte, was das ist. Es entsteht ganz von selbst.
Erstaunlich!
In diesem Augenblick, frei von allen Gedanken, ist die Befreiung manifest
Da ist Nichts, eine völlige Öffnung
HE DE WA
In dieser Öffnung ist vollkommene Durchsichtigkeit
oder Transparenz, das heißt dieses Gewahrsein, das in uns entsteht, breitet sich ungehindert in alle Richtungen aus. Es gibt keine Grenzen, es gibt kein Innen, kein Aussen, keine Form, keine Farbe, leuchtende Transparenz, die unaussprechlich ist.
Das ist das Gewahrsein des Dharmakaya
und der erste Punkt des Dzogchen, die Sichtweise. Wenn man das kennt, braucht man nichts weiter.
Das ist die Sicht des Dzogchen.
Das Wesen von Prajna Paramita
Wenn du mit deinem Geist nicht zugreift, wirst du einen frischen Seinszustand erfahren. Wenn du das Festhalten loslässt, wird ein Zustand jenseits aller Begrifflichkeit geboren. Dann wird das Feuer des großen Prajna wachsen. Die dunkle Ignoranz des Festhaltens am Ich wird beseitigt werden.
Die Wurzel-Lehre ist die, dass du die Bewegung deines eigenen Geistes ganz genau untersuchen sollst. Tu das!
Sönam Drapa
Die Linie
Dzogchen, Mahamudra und andere Erleuchtungswege kann man nicht (nur) intellektuell lernen. Es braucht die persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch, da es hier um Dinge geht die über Sprache und Verstand hinausgehen.
Das hat nichts mit Magie zu tun, sondern es ist so wie mit einem guten Handwerk. Manche Dinge lassen sich nur im alltäglichen Zusammenarbeiten und im Laufe der Zeit erlernen.
Die Linie des Dzogchen wird schon seit Jahrtausenden auf diese Weise weitergegeben und wurde von großen und berühmten Meistern getragen.
Garab Dorje gilt als der Begründer der Linie, der sie seinem Schüler Jampal Schine weitergab, der ein Lehrer an der berühmten Klosteruniversität von Nalanda war. Der indische Mahasiddha Saraha und der Große Lehrer der Tibeter Guru Rinpoche waren weitere Vertreter dieser Linie, später Longchenpa, Jigme Lingpa, Gyalway Njugu und der große Meditationsmeister Patrul Rinpoche im 19. Jahrhundert . Von ihm und vielen anderen wurde die Linie bis zum heutigen Tag lebendig weitervermittelt.
Der Ort
TASHI CHÖ LING
Ort der friedvollen Übung
Tashi Chö Ling ist kein Buddhistisches Zentrum und auch kein katholisches Bildungshaus, sondern eine Einsiedelei im Westen, also eine Übungsgemeinschaft die „sich auf einen Geist stützt, der an nichts haftet“.
Das ist ein hoher Anspruch, und deshalb sagt der Buddha über diese Haltung:
„Wenn jemand dieses Sutra vernimmt und nicht erschrickt oder sich fürchtet, so ist er oder sie außergewöhnlich.“
Diese Philosophie braucht auch einen Boden.
Sie braucht einen Ort der Praxis, des Gesprächs und der Übung.
Hier wird seit vielen Jahrzehnten im Stillen meditiert, die Atmosphäre gereinigt und ein Mandala aufgebaut, das die geistige Arbeit unterstützt.
Korb ist ein allein stehender Bergbauernhof, wunderschön gelegen; zwei Häuser umgeben von Obstbäumen, Wiesen und Wald, mit einem weiten Blick über das Tal und die aufgehende Sonne. Eine Insel im stürmischen Ozean der westlichen Welt.
Dieser Ort in den Kärntner Bergen versteht sich als Außenstelle der Einsiedelei im Himalaja. Geographisch durch Tausende Kilometer getrennt ist es doch eine Gemeinschaft, die versucht, denselben Geist hoch zu halten.
Menschen, die ernsthaft praktizieren wollen, finden hier förderliche Umstände, eine unterstützende Umgebung, und müssen nicht den Aufwand, die Mühen und die Risiken einer Reise nach Tibet, nach Japan oder einen anderen exotischen Ort auf sich nehmen.
„Alle Dharmas sind Buddhadharma“
(Diamant-Sutra),
ist eine kurze Feststellung, aber sie enthüllt die tiefgründigsten Lehren des Buddha.
„Vergessen die Menschen, die den Buddhismus im Westen lehren, dass alle Dharmas Buddhadharma sind, dann werden sie sich wie ein Tropfen Öl in einem Glas Wasser fühlen. Wenn Menschen im Westen in ihre Gesellschaft eine exotische Form des Buddhismus einführen und meinen, dieser besondere Ausdruck des Buddhismus sei der einzig wahre Buddhismus, dann wird sich das Öl niemals in Wasser auflösen. Der Buddhismus wird im Westen nur erfolgreich sein können, wenn er aus euren Erfahrungen heraus erwächst und die Bestandteile eurer Kultur integriert. Praktiziert ihr in genau der gleichen Weise, in der der Buddhismus in Vietnam, Tibet, Thailand, Burma, Sri Lanka, Japan oder Korea praktiziert wird, werden die Öltropfen immer vom Wasser getrennt bleiben.
Bitte, nutzt als westliche Buddhisten und Buddhistinnen die vielen Elemente eurer Kultur, um den Stoff des Buddha Dharma zu weben.“
Thich Nhat Hanh
mehr:
Christentum und Buddhismus
Ein „Geist, der an nichts haftet“, ist an keine bestimmte Konfession gebunden. Er kann sich auf verschiedenen Übungswegen frei entfalten.
Das heißt natürlich nicht, dass man die Wege durcheinanderbringen darf. Es geht vielmehr darum, dass sich Menschen, die auf verschiedenen Wegen üben, trotzdem verstehen können und in ihrem höchsten Anspruch zusammenwirken.
Mahamudra und Dzogchen
Mahamudra und Dzogchen waren ursprünglich getrennte Übermittlungslinien. Einer der Karmapas, das Oberhaupt einer der wichtigen Kargyudpaschulen, in der die Mahamudra Tradition bewahrt wurde, vereinigte aber die beiden Linien in sich. Seither werden in dieser Schule beide Traditionen gepflegt. Auf der höchsten Ebene des Mahamudra, der so genannten „Nicht-Meditation“ gibt es keinen Unterschied zwischen den Wegen mehr.
Rime
Im 19. Jahrhundert erlebte Tibet eine Hochblüte der Spiritualität – Interessanterweise genau zu derselben Zeit, in der im Westen gewaltige technologische und gesellschaftliche Fortschritte gemacht wurden.
In dieser Zeit der Hochblüte vereinigten die großen Meister der Tibeter alle verschiedenen Schulen in sich, und lehrten auch auf diese Weise. Diese Bewegung wurde Rime genannt, was „ohne Grenzen“ bedeutet.
Christentum und Buddhismus
Teilhard de Chardin hat einmal bemerkt, dass die größten Sprünge in der Evolution dort zu beobachten sind, wo zwei Entwicklungslinien, die sich lange Zeit getrennt voneinander entwickeln konnten aufeinandertreffen, und sich gegenseitig befruchten. Etwas Ähnliches könnte heute im Gange sein.
Derselbe Teilhard de Chardin, Jesuit, Wissenschaftler und Theologe hat nämlich vorher gesehen, dass die gemeinsame Entwicklung der Menschheit auf den Punkt Omega (der letzte Buchstabe im griechischen Alphabet) hinzielt, und dass sich hier die verschiedenen Entwicklungslinien harmonisch vereinigen werden.
Seine Philosophie hat auch das Zweite Vatikanische Konzil inspiriert.
Es könnte also sein, dass die tibetische Rimebewegung ebenso wie der Aufbruch der christlichen Kirchen Anzeichen dieser anstehenden Vereinigung und gegenseitigen Befruchtung sind.
Bei diesem Prozess sind, nach den Erkenntnissen von Wisdom Science, auch größere Hindernisse zu erwarten: Hindernisse, die wir heute in vielfältigen Formen beobachten können.
Die fruchtbare Verbindung der verschiedenen Religionen und Kulturströme, also auch die spirituelle Verbindung von Christentum und Buddhismus, hat also wesentlich mehr als nur persönliche, private Bedeutung.
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Christentum und Buddhismus .pdf
Flüchtlings- Hilfswerk
für Tibeter