Ilse Gewolf

Ilse Gewolf

SPUREN


Wer einmal ein Wort in den Mund genommen hat,

der wird den Geschmack nicht wieder los.

Wer einmal zu schreiben versucht hat,

der wird es immer wieder tun.

Wer einmal dem Reiz der Zwecklosigkeit auf die Spur gekommen ist,

der wird immer wieder der Versuchung erliegen.

Manchmal scheinen Linien verlorenzugehen,

drohen, ein für allemal zu verschwinden.

Formen versuchen, aus dem Zusammenhang gerissen,

in Vergessenheit zu geraten.

Ich sammle sie ein, halte sie fest,

bemächtige mich ihrer Nutzlosigkeit.

Ich sammle und sammle, was aus dem Blickfeld zu geraten droht.

Aus allem Sinn und Zweck Herausgefallenes,

unleserlich gewordene, aus einem Nirgendwo in ein Nirgendwo führende

Linien,

aus dem Zusammenhang genommene Formen greife ich auf.

Ich sammle und sammle und lege die Versatzstücke eines nicht erinnerten

Ganzen

in einen neuen, noch nicht begründbaren Raum,

richte sie aus auf dem Weiss meiner Leinwände.

Ich sammle und sammle das bis zur Unkenntlichkeit entglittene Treibgut:

Aus einem Rahmen Gefallenes,

aus dem Gedächtnis Verlorenes,

aus den Fugen Geratenes,

aus dem Takt Gekommenes.

Treibgut aus den Netzen einer zu schnell gealterten Zeit.

Worte und Splitter und Fetzen schlagen an ein hartgewordenes Ufer,

finden keinen Halt, treiben zurück in die Tiefen, aus denen sie angerollt sind.

Nur manchmal bleibt eine Spur, einen Blick lang.

Keine Zeit zu schauen, keine Zeit zu erinnern.

Ich greife sie auf und lege sie an auf meinem weissen Leinen.

Stück für Stück,

Form für Form,

Wort für Wort.